• Geliebter Feind
    Jedes Computerspiel braucht neben dem Helden auch einen ernstzunehmenden Gegner. Doch wie entstehen Feindbilder – und warum?

    Ob hirnfressender Zombie, kriegslüsternder Wehrmachts-Soldat oder bombenlegender Terrorist – es ist nicht entscheidend, wer der Feind in einem Computerspiel ist. Entscheidend ist, wer er nicht ist: Er ist keiner von uns. Fast jeder Mensch hat eine emotionale Bindung zu dem, was er kennt. Wir mögen unseren Heimatort, essen gerne lokale Spezialitäten, und zur Fußballweltmeisterschaft schmücken wir uns mit den Nationalfarben und jubeln frenetisch über jedes Tor unserer Mannschaft.

    Was uns nicht vertraut ist, wird uns hingegen schnell suspekt. Menschen, die mit anderen Regeln und nach fremden Bräuchen leben, erscheinen uns oftmals als unberechenbar. Und was wir nicht zuverlässig einschätzen können, nehmen wir mitunter als Bedrohung war – als Feind. Es ist diese emotionale Unterscheidung zwischen Bekanntem und Unbekanntem, die Unterhaltungsmedien nutzen, um für uns passende Feindbilder zu erstellen. Die grundlegende Voraussetzung für das Böse in einem Computerspiel ist daher auch die simpelste: Der Feind muss anders aussehen als wir.

    Schurken, Schlächter und Soldaten - Bösewichte in Computerspielen,wenn in Call of Duty 5 Wehrmachtssoldaten hilflos am Boden liegende Russen erschießen, dann wird im Spieler der Wunsch laut: "Denen zeig ich’s!" Zweifel an der Richtigkeit des Handelns wird damit minimiert – moralische Ambivalenz und Unsicherheit sind selten in Spielen, die uns in erster Linie unterhalten sollen.
    Stoppen wir die Wehrmacht nicht, fällt ganz Europa unter die eiserne Faust der Nazis. Das legitimiert unseren Kampf, insbesondere, wenn der Feind sich als besonders grausam und unmenschlich präsentiert. Tatsächlich ist die Nähe des venezuelanischen Präsidenten Hugo Chavez zu Fidel Castro dem US-Präsidenten George W. Bush ein Dorn im Auge. Und für Pandemic Grund genug, sich die im Spiel geschilderten Konflikte auszudenken. Denn wenn ein Feindbild schon nicht an ein historisches oder gar aktuelles Szenario anknüpfen kann, dann muss es zumindest ein glaubwürdiges sein. Holland greift Frankreich an? Käse.

    Mexikanische Rebellen bedrohen die USA? Schon besser – und Thema von Ghost Recon: Advanced Warfighter 2. Bo Anderson vom schwedischen Entwicklerstudio Grin erläutert die Grundlage der Story: »Die Amerikaner haben seit geraumer Zeit Angst davor, mexikanische Plünderer könnten ihr Land überfallen. Die bilden deshalb sogar Bürgerwehren, die die Grenze bewachen.«


    Gamestar

    Um Rechtsstreitigkeiten und politische Affronts zu vermeiden, denken sich Spieleentwickler meist Gegner aus, die als Ersatz für bestehende Feindbilder dienen sollen. Statt der mexikanischen Armee rücken in Ghost Recon: Advanced Warfighter 2 deshalb fiktive Rebellen an. Dem Bürgermeister der im Spiel genannten mexikanischen Stadt Juarez war das ziemlich egal: Er sah seine Heimat verunglimpft und bat die Regierung um ein landesweites Verbot des Spiels.

    Gamestar

    Bereits 2004 sorgte Ghost Recon 2 für einen vergleichbaren Eklat. Darin greift eine Splittergruppe der nordkoreanischen Armee China an und muss von US-Truppen gestoppt werden. Chef-Entwickler Christopher Allen von Red Storm: »Wir wollen so echten politischen Gegebenheiten fernbleiben und trotzdem ein realistisches Konfliktszenario bieten.« Eine nordkoreanische Zeitung glaubt indes, andere Motive hinter Ghost Recon 2 erkannt zu haben: »Die Amerikaner haben der Welt ihren Hass auf uns gezeigt. Das mag für sie jetzt nur ein Spiel sein, aber ein Krieg wird später kein Spiel mehr für sie sein. Dort wird sie nur eine jämmerliche Niederlage und ein grauenhafter Tod ereilen.«

    PCWelt

    Mittlerweile haben Computerspiele ihre politische Unschuld endgültig verloren. In Kuma War spielen Sie echte Einsätze amerikanischer Soldaten im Irak nach. Das Entwicklerstudio Kuma Games veranstaltete sogar einen Wettbewerb, in dem Veteranen ihre am eigenen Leib erfahrenen Gefechte schildern sollten. Die Programmierer bauten anschließend die dramatischste Mission ins Spiel ein. Keith Halper, Chef des Studios, erklärt das Konzept: »In einer Welt, die von Konflikten zerrissen wird, denken wir bei den Abendnachrichten doch alle das Gleiche: Mann, das wäre ein tolles Spiel!«

    Entsprechend zeigt Kuma War vor jedem Level eine selbstgedrehte Nachrichtensendung mit echten Szenen des kurz darauf folgenden Einsatzes. Mittlerweile umfasst das Programm über 80 Missionen, angefangen vom Tod der Söhne Saddam Husseins über die umstrittenen Gefechte von Falludscha bis zum Ende des Al-Quaida-Führers Al-Zarkawi. Kuma War bietet in einem Level sogar das nach eigenen Angaben »plausibelste Szenario, um die Nuklearanlagen des Iran zu zerstören«.
    Doch Kuma Games hat kein Monopol auf derartige Spiele. Die »Gegenseite« hat das Medium ebenfalls für sich entdeckt. Under Siege von Afkar Media schildert den Kampf der Palästinenser gegen die israelischen Besatzer, und kehrt dabei das Feindbild der westlichen Shooter ins Gegenteil um: Statt eines bombenbepackten islamischen Selbstmordattentäters stürzt sich hier ein orthodoxer Jude mit einer Uzi in eine vollbesetzte Moschee und eröffnet das Feuer auf die wehrlosen Betenden.

    "Rescue the Nuke Scientist", das Spiel einer iranischen Studentenvereinigung, adaptiert das Iran-Szenario aus Kuma War, doch dreht den Spieß um: Statt eine Nuklearanlage zu zerstören, befreit der Spieler hier einen iranischen Atom-Wissenschaftler, bekämpft amerikanische Soldaten und deckt schließlich eine israelische Verschwörung auf.
    PCWelt

    "Under Siege" und "Rescue the Nuke" Scientist sind in westlichen Ländern nur schwer zu ergattern – und wegen ihres schwachen technischen Anspruchs auch höchstens als Kuriosum interessant. Trotzdem sorgt sich die US-Regierung, das Feindbild Amerika könne sich über Computerspiele weiter in der Welt verbreiten. 2006 glauben Internet-Experten Anzeichen dafür gefunden zu haben, dass die Terror-Organisation Al-Qaida Spiele für ihre Zwecke umprogrammiert, um die amerikanische Jugend zu korrumpieren.

    In einer Anhörung vor der zuständigen Untersuchungskommission präsentieren die Verfassungsschützer das Beweisstück: ein Fan-Video aus Battlefield 2, in dem ein Spieler als Kämpfer der Middle Eastern Coalition auf GIs schießt. Der holländische Macher des Clips hat über die Szenen einen Monolog aus der Polit-Satire Team America gelegt, in der ein Terrorist seinen Hass auf die amerikanischen Ungläubigen schildert.

    Als die Angelegenheit öffentlich wird, klären die Betreiber eines Spiele-Blogs die Untersuchungskommission auf. Doch dass westlich orientierte Jugendliche in einem Spiel freiwillig auf amerikanische Truppen schießen und derartiges »Propaganda-Material« sogar in den Vereinigten Staaten produziert werde, entzieht sich bis auf Weiteres dem Verständnis der entrüsteten Politiker

    Artwork aus "World in Conflict"

    Auf ihrer Suche nach einer geeigneten Hintergrundgeschichte für ihr Echtzeit-Strategiespiel World in Conflict fiel dem Entwicklerstudio Massive die Wahl deshalb leicht: »Wir wollten einen Krieg mit ausgeglichenen Parteien und moderner Ausstattung «, erklärt Martin Hultberg von Massive, »und dafür ist der Kalte Krieg die perfekte Wahl, wenn nicht sogar die einzige Wahl.« Die bösen Sowjets: ein Feindbild, das eine ganze Generation geprägt hat.

    Doch darauf kommt es Massive gar nicht an. Eigentlich sollte World in Conflict beide Seiten beleuchten, die Russen-Kampagne wurde dann aber in das Addon Sowjet Assault geschoben. Da werden dann die Amerikaner die Schurken sein. Dennoch bekennt Hultberg, die Russen gäben ein dankbares Feindbild ab: »Für den Rest der Welt wirken sie hart, unbarmherzig und bedrohlich, ohne dass man Rücksicht auf politische Korrektheit nehmen müsste – wie bei fundamentalistischen Terroristen etwa.«

    Gamestar

    Dass »der böse Russe« auch zwanzig Jahre nach Kaltem Krieg und dem frühen James Bond noch immer einen guten Schurken abgibt, haben in letzter Zeit einige Entwickler bemerkt: Call of Duty – Modern Warfare, Frontlines oder in naher Zukunft End War läuten eine »Russen-Renaissance« ein. Der Grund dafür dürfte wiederum in aktuellen politischen Wendungen liegen: Mit seiner erstarkten Wirtschaft, seinem großen Nationalstolz und regelmäßigem Säbelrasseln erscheint Russland dem Westen aufs Neue als unberechenbar, suspekt oder gar feindselig.

    Doch welchen Nutzen haben wir, die Spieler, von derart stereotypen Feindbildern? Jürgen Fritz, Professor für Spielpädagogik an der Fachhochschule Köln, kennt die Antwort: »In Computerspielen steht fest, wer der Gegner ist. Hier steht fest, mit welchen Mitteln zurückgeschlagen werden darf, und hier steht auch fest, dass der Spieler selbst eindeutig gut ist.« Im wahren Leben sind solch klare Strukturen selten.

    Gamestar

    Als Russland am 8. August 2008 georgische Truppen in Süd-Ossetien angreift, lässt sich nicht ohne Weiteres sagen, wer in diesem Konflikt der Übeltäter und wer das Opfer ist. In einem Computerspiel wäre dieser Krieg viel übersichtlicher, klarer, begreifbarer. Und so fragte ein User in einem Forum sarkastisch: »Gibt’s dazu schon eine Mod für Armed Assault oder Operation Flashpoint?«

    Nicht nur eine Mod, sondern sogar ein Vollpreisspiel: In der ersten Mission von Ghost Recon aus dem Jahre 2001 schickt Sie Red Storm Entertainment nach Süd-Ossetien, um dort einen Krieg zwischen Georgiern und Russen zu unterbinden. Allein im Datum liegen die Geschichtenschreiber von Tom Clancy falsch. Sie schätzen den Ausbruch des Krieges auf April 2008 – vier Monate zu früh .

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